Einmal in der Woche fährt eine alte Bahn von Kenias Hauptstadt Nairobi nach Nanyuki am Fuße des Mount Kenya. Es gibt schnellere Möglichkeiten, um zum Nationalpark zu kommen, aber wohl kaum schönere.
Jeden Freitag um 9 Uhr rollt ein Zug aus Kenias Hauptstadt Nairobi Richtung Nanyuki am Fuße des Mount Kenya. Die alte Lokomotive hupt pünktlich und verlässt ratternd den Hauptbahnhof der Millionen-Stadt. Doch wer schnell ans Ziel kommen will, fährt nicht mit dem Zug nach Nanyuki. Der Bummelzug braucht für die knapp 180 Kilometer rund 7,5 Stunden, mit dem Bus sind es nur gut drei. Die Tickets verkauft ein Mitarbeiter direkt am Bahnsteig. «Kenya Railways erwartet, dass die Fahrgäste mindestens eine Stunde oder früher vor der Abfahrtszeit einchecken», steht auf der Website. Nötig scheint das nicht. Bei der Abfahrt sind die fünf Wagons sind kaum gefüllt.
Der Zug lässt die Hochhäuser Nairobis hinter sich und rollt langsam durch die Außenbezirke der Hauptstadt, vorbei an Industriegeländen, Wohnsiedlungen und Müllbergen. Staub und Gestank dringen durch die Fenster in die Wagons. Doch irgendwann weicht die Industrie grünen Feldern mit Mais, Bohnen und Kohl. Und der Zug füllt sich. «Für viele Menschen auf den Dörfern ist der Zug günstiger», erklärt der Lokführer. Die Fahrt in der zweiten Klasse kostet 200 Kenia-Schilling. Dort sitzen Männer, Frauen und Kinder nun in zwei Sitzreihen wie in der U-Bahn eng nebeneinander. Um sie herum Taschen, eine große Topfpflanze und Proviant für die Fahrt.
Fahrt kostet umgerechnet etwas weniger als 10 Euro
Die privaten Abteile der erste Klasse bieten dagegen erstaunlich viel Platz und Komfort. Für 1000 Kenia-Schilling bekommen die Passagiere zwei Liegeflächen aus beigem Leder, ein Waschbecken und sogar Getränkehalter. Luxuriös reist man aber auch in der ersten Klasse nicht. Der Strom funktioniert nicht, ebenso wenig der Hahn für Trinkwasser. Den Farben im Abteil merkt man die Jahre an. «Der Zug ist über 40 Jahre alt. Die Lokomotive wurde noch in Deutschland gebaut», klärt der Lokführer auf. Die Gleise stammen sogar noch aus der britischen Kolonialzeit.
Immer wieder muss sich der Lokführer die schmale Strecke freihupen, weil Hunde, Kühe oder Motorradfahrer den Weg blockieren. Ein Mann zieht seinen Holz-Karren zu spät von den Gleisen. Bei der Kollision mit dem Zug zerfällt das Gefährt in seine Einzelteile. Nach einer kurzen Pause geht es weiter. Die Fahrt im Bummelzug durch Kenia entschleunigt. Je näher der Zug Nanyuki kommt, desto grüner und hügeliger wird die Landschaft. Auf der schmalen einspurigen Strecke wirkt der Zug wie eine Attraktion in einem Freizeitpark. Dazu passen auch die Reaktionen der Menschen entlang der Gleise. Einige Erwachsene schießen Fotos mit ihren Handys, die vielen Kinder winken in ihren Schuluniformen.
Der Zug erreicht Nanyuki pünktlich. Bei Touristen ist die Stadt noch relativ unbekannt. Gerade mal 50.000 Menschen leben hier. Doch selbst für eine kenianische Kleinstadt wirkt Nanyuki überraschend ruhig und entspannt. Am Horizont komplettiert der Mount Kenya die Kulisse. Der Batian-Gipfel liegt auf 5.199 Metern Höhe und verschwindet am Nachmittag meist in dichten Wolken. Das Mount Kenya Bergmassiv ist nach dem Kilimandscharo das zweithöchste in Afrika. Die Besteigungen dauern zwei bis sechs Tage, je nach Gipfel, Route und Erfahrung. Auch eine Tagestour kann sich lohnen. Zum Beispiel über die Sirimon Route, die einige Kilometer nordöstlich von Nanyuki startet.
Rundweg führt auf bis 4.100 Meter Höhe
Die Tour beginnt am Camp Moses auf 3.300 Metern. Das Thermometer zeigt 13 Grad, der Wind bläst stark, doch die Sonne scheint vom wolkenklaren Himmel und beleuchtet die Gipfel Bergmassivs. Perfektes Wanderwetter. «Hier im Nationalpark gibt es Elefanten, Zebras, Paviane und sogar Leoparden», erklärt Guide Desmond. Nur leben sie entweder nicht auf dieser Höhe oder scheinen sich gut zu verstecken. Bloß ein Murmeltier schreit aus der Ferne. Der Weg führt durch eine Berglandschaft mit Gräsern, Felsen und verschiedene Arten von Lobelien. Die Pflanzen lassen die Landschaft wie die mexikanische Steppe wirken. Nur eben auf inzwischen mehr als 3.500 Metern.
Der Weg ist weder besonders steil noch besonders anspruchsvoll. Die Anstrengung kommt mit der Distanz und der Höhe. Der Rundweg führt über 21 Kilometer auf bis zu 4.100 Meter, die felsigen Gipfel des Mount Kenya immer im Blick. Nur selten kreuzen andere Wanderer den Weg. Es ist Anfang Juni, Nebensaison. «Die meisten Gruppen kommen im August und September oder im Dezember», erklärt Desmond. Dann aber kann es am Mount Kenya richtig voll werden. «Manchmal sind 350 Leute an einem Tag hier. Plus Guides und Träger. Dann ist es da oben wie ein Schlaf-Lager.»
Doch die Region um Nanyuki hat touristisch mehr zu bieten als den Mount Kenya. Unter anderem das Ol Pejeta Conservancy. Der Park beherbergt die beiden letzten verbliebenen nördlichen Breitmaulnashörner auf der Welt und mehr als 140 der ebenfalls bedrohten Spitzmaulnashörner. Dazu unter anderem Zebras, Elefanten und Giraffen und ein Schutzgebiet für Schimpansen. Der Ngare Ndare Forest bietet natürliche Pools zum Schwimmen, Wasserfälle und einen Baumkronenpfad und natürlich viele Tiere. Gerade im Norden von Nanyuki befinden sich außerdem viele weitere private Tierschutzgebiete. Doch das Vergnügen hat seinen Preis: Denn ohne Eintritt, Guide und Auto geht in Kenia meistens nichts. Für den Mount Kenya kostet allein der Tagespass 52 US-Dollar.
Die spektakulärste Attraktion in Nanyuki selbst ist die Äquatorgrenze im Süden der Stadt. Hier stehen neben den Hinweis-Schildern vor allem eine Handvoll Männer. Sie wollen den Touristen in kleinem Experiment zeigen, dass Wasser auf der Nordhalbkugel andersherum abfließt als auf der Südhalbkugel und im Idealfall noch ein paar Souvenirs in ihren kleinen Shops verkaufen.
Zurück nach Nairobi fährt der Bummelzug jeden Sonntag um 9 Uhr. Wer länger bleiben will, kann auch mit dem Bus oder Taxi zurückfahren. Das geht zwar mehr als doppelt so schnell, ist aber sicherlich nur halb so schön.
Hinweis: Die Zugreise fand im Frühjahr 2022 statt. Weitere Reisetexte findest du hier.