50 Stunden braucht der Zug für die 1200 Kilometer von Daressalam bis zum Victoriasee. In Tansania ist ein Bahnticket mehr als ein Fahrschein. Es ist die Eintrittskarte für ein Abenteuer auf Gleisen.
Wer mit der Bahn durch Tansania reist, braucht Zeit. Viel Zeit. Und das bereits, bevor es überhaupt los geht. «Seien Sie zwei Stunden vor Abfahrt am Bahnhof», sagt der Schalterbeamte in Daressalam einen Tag vor Abreise. Warum, erklärt er nicht. Die Einheimischen kümmert es nicht. Mit Kindern an den Händen und Taschen auf dem Kopf trudeln sie pünktlich am Bahnhof ein. Sie belagern die Bänke, bewaffnet mit riesigen Mengen an Wasser und Toastbrot für die Reise. Die Kinder spielen zwischen den Koffern.
Der Zug verlässt Daressalam mit knapp vier Stunden Verspätung. Gar nicht schlecht. Manchmal ist es sogar ein ganzer Tag. Und das, obwohl die Verbindung hier startet. Begründungen oder gar Entschuldigungen dürfen Passagiere nicht erwarten. Mindestens 40 Stunden soll die Fahrt von der Metropole am indischen Ozean bis nach Mwanza am Viktoriasee dauern. Rund 75.000 Tansania-Schilling, umgerechnet rund 35 Euro, kostet das Vergnügen in der ersten Klasse. Von Luxus-Abteil kann aber keine Rede sein: Zwei abgenutzte Liegeflächen aus rot-braunem Leder-Imitat, ein kleines verrostetes Waschbecken, ein Ventilator. Polster und Decken sind sauber, der Rest wirkt ein wenig schmuddelig. Ein Stock hält das Schiebefenster zusammen. Die sanitären Anlagen am Ende des Abteils beschränken sich auf ein Loch im Boden.
Info: Zugfahren in Tansania
Die Tazara-Bahn von Daressalam nach Sambia dienstags (Normal) und freitags (Express), offiziell jeweils am Nachmittag. Tickets für die erste Klasse (102.000 Tansania-Schilling bis zur Endstation) sollten mindestens eine Woche vorher reserviert werden (Hotline: +255 (0) 713413141). Bezahlen kann man am Tag der Reise. Alle Infos gibt es recht kompakt und übersichtlich auf der Website. Die Bahnen der TRC fahren gewöhnlich montags (Express) und mittwochs (Normal) von Daressalam nach Mwanza oder Kigoma. Manchmal gibt es auch einen Zug am Wochenende. Da es keine Website oder einen Kundenservice gibt, sollte man hier immer ein paar Tage vor der Reise direkt am Bahnhof nachfragen. Dort sind auch die Preise angeschlagen.
Durch den Abendhimmel rattert der Zug von der Küste ins Landesinnere. Für kleines Geld serviert ein Bahnmitarbeiter sogar ein Abendessen: Reis mit Fleisch und Gemüse. Einfach, aber gar nicht schlecht. Entspannung und Schlaf zu finden, ist trotzdem nicht einfach. Der Zug schaukelt und rüttelt über die Gleise. Die Tür des Abteils schließt nicht richtig und klackert während der gesamten Fahrt. In jedem Dorf hält die Bahn etwa zehn Minuten, in größeren Städten ist es auch mal eine halbe Stunde oder mehr. Einen Fahrplan kennt die Bahn nicht. Starkes Ruckeln und die Hupe des Lokführers begleiten jede neue Anfahrt in der Nacht. Als die ersten Sonnenstrahlen durch den grauen Diesel-Dampf leuchten, streift der Zug eine karge Landschaft. Leere Reisfelder dursten nach Regen. Nur wenige Bäume tragen noch Grün, einige Bauern treiben ihr Vieh durch die orange-gelbe Weite. Nach etwa 16 Stunden und 465 Kilometern erreicht der Zug die tansanische Hauptstadt Dodoma. Die Wartezeit hier reicht locker für ein Mittagessen in der Stadt.
Tazara-Linie führt von Daressalam nach Sambia
Das Eisenbahnnetz in Tansania ist seit der Unabhängigkeit geschrumpft. Das Zugsystem stammt noch aus der Kolonialzeit. Die Central Line nach Kigoma am Tanganyikasee bauten die Deutschen, die Northern Line nach Mwanza die Briten. Unter der Hilfe Chinas kam Ende der 70er-Jahre die Tazara-Bahn dazu. Sie führt durch einige Nationalparks im Süden Tansanias bis nach Sambia. In der Regel fahren die Züge zweimal in der Woche. Wann genau, wissen eigentlich nur die Beamten am Bahnhof. Sie verkaufen auch die Fahrkarten. «Kaufen Sie das Ticket ein oder zwei Tage vorher», lautet die Empfehlung dort. Die Abfahrtzeiten können sich auch kurzfristig noch ändern. Doch Besserung ist in Sicht: Ab Ende 2020 soll eine neue zuverlässige Schnellverbindung Daressalam und Dodoma verbinden – in etwa drei bis vier Stunden.
Einige Einheimische werden bei dieser Innovation wohl auf der Strecke bleiben. Für viele Tansanier reicht das Geld schon jetzt nur für die dritte Klasse. Zusammengequetscht hocken sie hier auf den Bänken. Säcke, Taschen und unruhige Kinder füllen den Gang. Einige Passagiere stehen am Fenster und lassen die Weite des Landes an sich vorbeiziehen. Für viele von ihnen ist der Zug eine gute Möglichkeit, ihre Heimat zu erreichen – Dörfer, die nur wenige Landkarten kennen. Wer mit den Tansaniern in Kontakt kommen will, ist hier richtig. Das Abenteuer wartet jedoch vor allem neben den Gleisen. In Saranda, eigentlich ein kleiner Ort, verwandelt sich der Bahnhof in Sekundenschnelle zur Freiluftkantine. Anwohner grillen Mishkaki (Fleischspieße), kochen Chipsi Mayai (Omelett mit Pommes) oder Reis mit Bohnen. Viele Passagiere sind vorbereitet: Mit Besteck und Dosen stürzen sie sich in das Outdoor-Restaurant. Wer nicht aussteigen will, wird auch am Fenster bedient.
Immer wenn der Zug hält, etwa alle 20 bis 30 Minuten, beginnt dieses Spiel von vorne. Vor allem Frauen und Kinder laufen die Fenster ab, verkaufen Körbe, Kekse und Kram. «Mzungu», rufen die Kleinen vom Rand der Gleise. So nennen sie die Weißen hier. In den ländlichsten Gegenden fragen die Kinder nach leeren Wasserflaschen. Fliegt mal eine aus dem Zugfenster, entsteht mancherorts ein regelrechter Kampf um das Plastikgold. Denn die Flaschen füllen die Kinder auf, verkaufen sie dann an den nächsten Zug, der das Dorf passiert. Für sie ist es ein gutes Geschäft. Doch auch abseits der Dörfer werfen viele Passagiere ihren Müll sorglos aus dem Fenster. Plastik und Verpackungen zerstören so ein wenig das Bild der unberührten Landschaft Tansanias.
Zug erreicht Mwanza nach 50 Stunden
Auch die zweite Nacht im Zug verläuft eher unruhig. Gegen zwei Uhr erreicht der Zug Tabora. Erst nach mehr als zwei Stunden geht es weiter. Das hat zwei Gründe: Zum einen teilt sich der Zug hier auf: Ein Teil fährt nach Kigoma, der andere nach Mwanza. Die Wagons müssen aufwendig auf den Schienen rangiert werden. Zum anderen hat eine hochschwangere Frau noch kurz vor Tabora ihr Kind zur Welt gebracht. «Ein Arzt musste in den Zug kommen, aber allen geht es gut», klärt eine Mitreisende am nächsten Morgen auf.
Je näher der Zug Mwanza kommt, desto grüner wird die Landschaft. Baumwolle, Mais und Spinat wachsen auf den Feldern. Die Bäume tragen Blüten. Immer mehr Passagiere stecken den Kopf aus dem Fenster. Sie blicken in die Landschaft, beobachten die Bauern mit ihren Kühen und Ziegen, winken den Kindern, die aus den Lehmhütten sprinten und den Zug ein Stück begleiten. Die Fahrt durch Tansania entschleunigt. Wer aufmerksam und geduldig ist, kann das Land im Zug von vielen Seiten kennenlernen. Nach knapp 50 Stunden und gut 1200 Kilometern hupt sich der Lokführer durch den Stadtverkehr von Mwanza. Die Sonne steht tief über dem Viktoriasee.
Hinweis: Die Zugreise fand im Herbst 2019 statt.